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Ein kleines feines Festival im Val Lumnezia von jungen Menschen, die sich Gedanken machen, wie ein Leben in den Bergen in Zukunft aussehen könnte…..
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Tersnaus – eine Schwärmerei
Hey du. Ich möchte dir eine Geschichte erzählen, darf ich? Eine Geschichte über ein kleines Stück Welt, ein Stück Welt, wo die Uhr noch etwas langsamer ticken darf und sich der Pöstler noch Zeit nimmt für ein Café, wenn dieser ihm angeboten wird. Ein Stück Welt, wo so manch eine Austauschstudentin auf ihrem Hippie-Trip, oder ein Zivi, welcher nicht genau wusste, was er mit seinem Leben anstellen soll, ein kleines Stück Herz zurückgelassen und Liebe dazu gewonnen hat. Und du weisst was passiert, wenn Liebe in der Luft liegt? Es gibt Nachwuchs. Aber dazu später mehr.
Dieses kleine Stück Welt ist wie Prinzessin Diana es war, nur noch viel schöner. Hätte Diana diesen Ort besucht, sie wäre sicher nicht so schnell nach London zurückgereist. Möglicherweise hätte sie Robert kennengelernt, den Bauern, welcher jeden Morgen vor und nach dem Stallbesuch bei warmem Licht in der Küche genügsam seinen Café schlürft und dazu die „Quotidiana“ liest. Genau dieser Robert ist für mich sinnbildlich für dieses kleine Stück Welt, welches im Übrigen den Namen Tersnaus trägt. Das erzähle ich euch, weil ich genau mit diesem Robert am gleichen Tisch sass und ich bei ihm diese innere Zufriedenheit und Genügsamkeit auf einmal auch bei mir feststellen konnte. Woher kam das? War es die Bergluft? Nein, das wäre zu plakativ, die gibt es im Berner Oberland auch, eventuell der Alpkäse? Der war zwar super Lecker aber es musste etwas Anderes sein. Aber was?
Tatsächlich war dieses Idyll, bei welchem das gelbe Postauto nur alle Stunden und am Wochenende auf Bestellung hält, versteckt zwischen Ilanz und Vals, zeitweise geprägt von einst verschlossenen und verkorkten Dorfbewohnenenden. Denn 1395 fingen Walserinnen und Walser aus dem benachbarten Vals in das klimatisch günstigere Stück Welt einzuwandern. Ja, Menschen liessen sich in Tersnaus nieder. Wäre Siddharta dabei gewesen, hätte er wohl sein Atman dort gefunden und alles wäre anders gewesen. War nicht so und deshalb wollten die Murxis aus Tersnaus einer Überfremdung vorbeugen, indem sie 1547 ein Verbot errichteten, welches besagte, dass den Valserinnen und Valsern den Kauf von Land im Dorf verunmöglichte. Das Lugnezer Heiratsverbot trat also in Kraft. Der damals überbewerte Graf von Sax-Misox verbot zudem die Heirat zwischen romanischsprachigen Einheimischen und zugewanderten Walserinnen und Walsern. Tja, die Zeiten ändern sich, Gala bleibt. Was sich am 18. Juli 1900 im Dorf ereignete, hätte nicht einmal Mike Shiva für möglich gehalten. Das ganze Dorf fiel einem Grossbrand zum Opfer und nur ein Haus, eine Kirche und ein Stall überlebten diese Katastrophe. Im Alten Testament steht geschrieben, dass Jesus womöglich in diesem Stall das Licht der Welt erblickte. Ich jedoch wage dies zu bezweifeln. Naja, auf jeden Fall war dies für die Menschen aus dem Dorf damals zu vergleichen, wie für mich heute ein mehrfacher Knochenbruch auf der Fuorcla Piste in Laax. Dumm gelaufen. Aber das Bein wurde zusammengeschraubt und die Häuser neu errichtet. Allem Anschein nach hatte die Gemeinde in den letzten Jahren gut Geschäfte gemacht und so lag sogar noch eine Zufahrtsstraße im Budget drin, welche direkt zur Hauptverkehrsachse im Tal führte und wo Postauto wiederum Geschäfte roch und auf dieser nun Millionengewinne erzielt. Robert braucht das Postauto selten bis nie. Er hat einen Transporter, einen VW Bus und noch so ein Jeep-artiges Auto. Zudem war es nicht Prinzessin Diana, welche ihr Herz an Robert vergeben hat und umgekehrt, nein, die junge Sennin Edith aus Aachen war und ist es. Es gab Nachwuchs. Voilà. Einfach so. Ihr wisst ja wie schnell das gehen kann. Und dieser Nachwuchs wurde so herangezogen, dass geschätzt wird, was Mensch hat. Der Käse wird von der Käserinde fingernagelbreit abgeschnitten, sodass keine Vergeudung stattfinden kann. Die Instrumente sind vorhanden, also wird geübt. Das Fahrrad steht nicht in der Ecke um schön zu sein, also werden Weltmeistertitel geholt. Es wirkt alles ein bisschen so, als hätte dieses Tersnaus irgendwie Richtigkeit. Der Tisch ist mit frisch gebackenem Brot, selber gemachter Butter und Käse belegt und das Gästezimmer wartet auf seine Gäste. Und mir schwebt vor, dass ich immer noch offene Fragen habe. Ist es dieses Tersnaus, von welchem Robert diese Genügsamkeit gelernt hat, oder ist es das Dorf Tersnaus, welches diese Genügsamkeit dank Robert erlernen durfte?
Nathanael Tissot