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NZZ Folio, 2008
«Zwischen uns liegen Welten»
Die «Huusmusig Kollegger» ist eine der bekanntesten Schweizer Volksmusikgruppen. Die Brüder Beat und Thomas haben auf über tausend Hochzeiten für Harmonie gesorgt.
Von Lukas Egli
Bild: Suzanne Schwiertz, Zürich.
Man hat uns schon oft gefragt, wer von uns beiden älter sei. Beat ist’s, eindeutig. Konkurrenten waren wir nie, dafür war der Altersunterschied einfach zu gross. Ich führe ja gern und finde es spannend, einer Gruppe vorzustehen. Nicht aber in der Familie. Letztlich will jeder auch irgendwo geführt werden. Deswegen kommt es für mich auch nicht in Frage, die Rolle unseres verstorbenen Vaters zu übernehmen, der die Zügel der «Huusmusig» in der Hand gehalten hat. Eigentlich will keiner von uns diese Rolle übernehmen. Mal sehen, was das für unsere Musikgruppe bedeutet.
Wir sind keine konventionelle Familie. Weil wir immer zusammen Musik gemacht haben, sind wir sehr eng miteinander verbunden. Ich bin sicher, wenn die Musik nicht gewesen wäre, hätten wir uns wohl schon früh stark voneinander entfremdet. Aber wir sind immer viel zusammen unterwegs gewesen. Bei unseren Auftritten gab es oft auch Spannungen. Manchmal sprachen wir vor einem Auftritt kein Wort miteinander. Aber spätestens wenn wir auf der Bühne standen, löste die Musik allen Ärger auf.
Weltanschaulich liegen Welten zwischen Beat und mir. Und wir können beide sture Köpfe sein. Er ist ziemlich konservativ, ich bin parteilos und weltoffen. Deswegen fliegen auch mal die Fetzen zwischen uns. Dann werden wir laut – bis beide sagen: «Du hörst mir ja gar nicht zu!» Wenn Beat mal von etwas überzeugt ist, lässt er sich nicht mehr davon abbringen. Meint man, man habe ihn überzeugt, kommt er zwei Wochen später wieder mit derselben Meinung. Ich finde diese Konsequenz manchmal bewundernswert. Im Zusammenleben ist sie aber nicht einfach.
Als ich nach der Matura bei ihm in der Werkstatt gearbeitet habe, zeigte sich, dass wir in gewissen Dingen auch sehr ähnlich sind. Zum Beispiel mochten wir beide morgens nicht aufstehen. Dafür arbeiteten wir oft bis spät in die Nacht hinein. Da merkte ich, wie pedantisch er sein kann – wie pedantisch er als Instrumentenbauer auch sein muss. Bei ihm muss alles perfekt sein. Er sagte mir immer: «Weisst du, es nützt nichts, wenn nur fast alles passt.»
Beat hat schon als Schreiner Instrumente gebaut. Nach und nach hat er sich ein unglaubliches Wissen beschafft, hat bis zum Exzess geforscht. Sein Anspruch ist, der Nachfolger des legendären Schwyzerörgelibauers Josef Nussbaumer zu werden, der auch als Stradivarius der kleinen Schweizer Ziehharmonika bezeichnet wird. Allerdings ist manches, was er in seiner Werkstatt tut, aus Kostensicht absurd. Doch Perfektion ist sein Markenzeichen. Beat geht konsequent seinen Weg, setzt seine Ideen ohne Rücksicht auf Verluste um. Es braucht viel, damit er zufrieden ist.
In der Musik ist er toleranter. Auf der Bühne ist Beat der Verspielte, der Showman. Er hat einen Koffer mit allerlei Instrumenten und Geräten, seine «Magic Box». Er spielt mit allem, was ihm in die Finger kommt, mit Löffeln, Orgeln und Schwingbesen. Wie kaum einer beherrscht er die Singende Säge. Im Duo spielen wir Alphorn. Da haben wir ein Ritual. Vor dem Spiel versichern wir uns beim andern: «Gell, du hast heute einen guten Ansatz fürs Horn, für den Fall, dass du die erste Stimme übernehmen musst.» Es ist noch nie dazu gekommen.
Und immer wieder kommt er mit neuen Ideen. Manchmal frage ich mich, woher er die Zeit dafür nimmt. Aber so ist Beat: Was er im Moment gerade tut, ist für ihn das Wichtigste. Er kann drei Minuten vor dem Auftritt die Holzverarbeitungen des Mobiliars untersuchen. Was wir als Lappalie betrachten, ist für ihn wichtig. Lampenfieber hat er keins, im Unterschied zu mir. Das grösste Lampenfieber hat wahrscheinlich unsere Mutter, die immer sehr mit der «Huusmusig» mitgefiebert hat, aber jahrelang nicht an unsere Konzerte kam. Beat kann sich auf der Bühne auch ziemlich verausgaben. Kürzlich kam ihm während seiner Darbietung mit der «Magic Box» die Brille abhanden: Im Eifer des musikalischen Gefummels flog sie in hohem Bogen davon.
Beat Kollegger, 48, Instrumentenbauer
Eigentlich habe ich ja zwei kleine Brüder: Andreas, der 41, und Thomas, der 39 ist. Doch obwohl Thomas fast zehn Jahre jünger ist als ich, würde ich ihn nie als meinen kleinen Bruder bezeichnen. Ich achte ihn wie einen grossen. Er hat es ja auch weit gebracht. Er war neun Jahre lang Gemeindepräsident unseres Heimatorts Alvaneu, jetzt ist er Vorsteher des kantonalen Amts für Gemeinden. Musikalisch aber ist mein älterer Bruder Martin der Begabteste. Er ist ein Jahr älter als ich und hat ein unglaubliches Gehör. Er spielt sogar grosse Orgelwerke ohne Noten.
Was mich an Thomas immer am meisten erstaunt hat, ist, dass er als Kind die Violine in die Hand genommen hat. Uns wäre das nie in den Sinn gekommen, so etwas Klassisches. Heute spielt er neben Euphonium und Tenorhorn vor allem sehr gut Alphorn – überall auf der Welt. Er spielte auf der Chinesischen Mauer, auf einem Kamel und gern auch auf dem Kopf. Ich sage dann immer: Da kannst du wenigstens einmal deinen Kopf gebrauchen bei der Arbeit.
Nach der Matura hat Thomas bei mir in der Werkstatt gearbeitet. Er hatte eine extrem gute Matura abgelegt. Schon in der Primarschule war klar, dass er sehr intelligent ist. Er hat in Bern Jura studiert und später das Bündner Anwaltspatent gemacht. Trotzdem ist er immer bescheiden geblieben. Noch heute fährt er einen alten Kleinwagen. Wie oft habe ich ihm schon gesagt, er solle wenigstens einen Allrad kaufen! Ich habe ihn ja auch schon abschleppen müssen. Er sagt dann immer nur: Das brauch ich nicht.
Als Gemeindepräsident hat Thomas immer für alle ein offenes Ohr gehabt, egal ob ein Mütterchen oder ein Kantonsrat bei ihm anklopfte. Er ist immer sehr anständig und brav gewesen, er war als Kind ja auch Messdiener. Martin und ich waren da viel wilder. Wir sind als Jugendliche oft nachts abgehauen, sind Auto gefahren, haben sogar einmal einen Hirsch gewildert. Als Jugendlicher macht man halt solchen Blödsinn. Nicht Thomas. Er ist auch verschwiegen, er erzählt nicht oft, was er gerade macht.
Als Student hat er für mich Alphörner geschnitzt, er hat zwei gute Hände. Doch er ist vor allem ein Visionär. Im Albulatal hat er viele Dinge angestossen, darauf war unser Vater sehr stolz. Nur wenn es ums Bauen geht, sind wir völlig uneins. Das Altersheim, das er für die Gemeinde bauen liess, finde ich grässlich. Auch sein eigenes Haus. Ein Haus ohne Vordach – das geht doch nicht! Ich habe ihm trotzdem geholfen. Ich hatte ihm sogar Pläne gezeichnet. Aber Thomas wollte kein Chalet, er wollte klare Formen, grosse Fenster, viel Licht. Ich bin eher ein Traditionalist. Ausser musikalisch. Da finde ich: Je verrückter, desto besser.
Zusammen haben wir auf über tausend Hochzeiten gespielt. Das war für uns Kinder nicht immer nur lustig. Die Konzerte hatte der Vater oft schon ein halbes Jahr im voraus abgemacht, und wir wussten nie recht, ob sie mit der Schule vereinbar waren. Oft spielten wir bis in die frühen Morgenstunden. Früher ging eine Freinacht ja nie vor 5 Uhr zu Ende. Meist kam dann, als wir Kinder schon fast im Stehen einschliefen, der Brautvater und sagte: Ich bezahle mehr, aber spielt weiter! Und danach mussten wir noch über den Julierpass oder so heimfahren. Zu Beginn seiner musikalischen Laufbahn hat sich Thomas jeweils hinter der Bühne schlafen gelegt. Für seine Einlage «Alphorn im Kopfstand» mussten wir ihn aufwecken.
Lukas Egli ist NZZ-Folio-Redaktor. Er hat zwei Geschwister.
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